Projekt „Überleben im Nationalsozialismus“

Wir als Schülerinnen und Schüler des Sozialzweigs der Vorklasse aus der Fachoberschule Schwabach sowie einzelnen Profis aus der 6. Klasse der Wirtschaftsschule Schwabach wollten unter Anleitung von Herrn Sambale einen Beitrag zum Festjahr „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland” leisten.

In Kleingruppen erarbeiteten wir literarische und zeithistorische Eindrücke von Geschichten des Überlebens und über Leben während der Zeit des Nationalsozialismus. Ausgehend vom “Tagebuch der Anne Frank” befassten wir uns mit einigen zeitrelevanten Themen wie die Verfolgung von Personen mit jüdischer Herkunft, Flucht, Widerstand. So erkannten wir bald, dass gerade der Blickwinkel des Mediums Tagebuch eine ganz persönliche Sicht auf das Erlebte der Menschen eröffnet.

Zu diesem Zweck verfassten wir aus der Perspektive der Hauptcharaktere der von uns gelesenen Bücher jeweils einen eigenen Tagebucheintrag, welcher zusammenfassend die Lebensumstände, Gefühle und Erfahrungen in Worten abbilden soll. Die Lebensumstände der Menschen wurden schließlich szenisch dargestellt und fotographisch festgehalten, um ein möglichst authentisches Miterleben zu ermöglichen.
Das Projekt soll unter anderem in Zusammenarbeit mit der Stadtbibliothek Schwabach sowie der Schwabacher „Initiative für Demokratie gegen Rechtsextremismus” als Denkanstoß dienen und im Geiste des bundesweiten Festjahres 2021 kulturelles und religiöses Verständnis fördern.

Mit großem Interesse setzen wir uns dafür ein, ein Nachvollziehen von Einzelschicksalen während des nationalsozialistischen Terrors zu ermöglichen, um dem Vergessen entgegen zu wirken. Zeitgleich wollen wir dabei Neugier an unseren (überwiegend) literarischen Vorlagen wecken, die unsere Augen für die Betroffenheit und Anteilnahme öffnen konnten.


Mein Name ist Mira.

Ich werde dir hoffentlich alles anvertrauen können, so wie ich es noch bei niemanden gekonnt habe, und ich hoffe, dass du mir eine gute Stütze sein wirst.

Wieder musste ich für meine Familie im Ghetto schmuggeln. Es ist jedes Mal wie ein Abenteuer, jedoch kein schönes. Als ich am Markt war, wurde ich von den Hyänen fast erwischt. Sie stellten mir Fragen und verdächtigten mich, obwohl ich mich so katholisch gekleidet hab, obwohl ich mich unauffällig verhalten habe. Es ist so, als hätten sie es gerochen. Als ich kurz davor war, meine Beine in die Hand zu nehmen und auf die kleine Wahrscheinlichkeit zu setzen, einfach wegzurennen und zu entkommen, kam er, ein Unbekannter, der sich als mein Freund ausgab und die Unmenschen verscheuchte. Er war wundervoll. Ich durfte jedoch vor unserem Abschied weder seinen Namen, noch andere Informationen über ihn erfahren. Es sei „besser so“, meinte er.

Ich habe langsam keine Kraft mehr. Nachdem mein Vater uns einfach verlassen hat, verlor auch meine Mutter die Hoffnung und sitzt nur noch deprimiert in unserem Versteck. Aber ich darf nicht auch so enden. Für Hannah, meine Schwester. Für sie würde ich alles machen. Diese verdammten Nazis. Sie zerstören nicht nur alles, sondern haben es auch noch geschafft die polnische Polizei und teilweise sogar andere Juden auf ihre Seite zu ziehen, alles im Gegenzug für ein leichteres Leben. Sie alle machen mich einfach krank. Ich weiß, dass wenn ich bei meinen „Abenteuern“ erwischt werde, es nicht nur den Tod für mich, sondern auch für meine Familie bedeutet. Das darf auf keinen Fall passieren! Die Nazis kommen mit allem davon. Sie töten nicht nur Juden. Sie töten auch alle, die nicht ihren Vorstellungen entsprechen, inklusive Frauen und Kinder. Sie foltern sie bis zum Tod, einfach abscheulich.

Egal was man als ihr „Feind“ macht, man zieht bei denen immer den Kürzeren. Gründe für Ihre Grausamkeit finden sie immer. Selbst als mein Vater beim Vorbeigehen an einem SS-Soldaten auf den Boden geschaut und geschwiegen hat, wurde er geschlagen, obwohl meinem Vater von einem Kumpel erzählt wurde, wie er einen SS-Soldaten möglichst höflich gegrüßt hatte und genauso verprügelt wurde.

Den Menschen im Ghetto geht es furchtbar. Wenn Familien das Glück hatten, jemanden zu haben, der verrückt genug ist, zu schmuggeln und der dabei nicht einfach beim Klettern über die Mauer erschossen wurde, verhungerten sie schon mal nicht. Aber die ganzen Krankheiten und Kriminalität waren zusätzliche Probleme. Und obwohl es keine Autos im Ghetto gab, war es durchgehend laut aufgrund von Streitereien oder Gebrülle, weil schon wieder etwas gestohlen wurde. Überall lagen Leichen und dieser Gestank, dieser unerträgliche Gestank…

(…)

Ich mache mir Sorgen um meine Familie. Es wird für mich unmöglich sein, sie alle zu beschützen. Doch ich wollte weiter mein bestes dafür geben. Nachdem ich erneut von den Nazis erwischt wurde, rettete mir dieser „Widerstand“ einmal mehr den Hals. Ich wurde gefragt, ob ich Ihnen nicht beitreten wolle, doch ich lehnte ab. Alles was ich wollte, war bei meiner Familie zu sein. Also kam ich nach Hause und sah meine Mutter und Schwester. Sie wurden gnadenlos hingerichtet. Ihre Leichen lagen leblos da, während ihr Blut den Boden tränkte.

Die Zeit des Versteckens ist nun vorbei. Ich hab jetzt ein neues Ziel. Die Nazis werden bezahlen. Ich werde mich dem Widerstand anschließen. Die Deutschen nahmen mir alles, was mir lieb war und nahmen mir den Sinn meines Lebens. Mit dem Widerstand verleihe ich meinem Leben einen neuen Sinn und werde alles in meiner Macht Stehende tun, um diese Monster aufzuhalten. Wenn einem alles genommen wird, was bleibt einem anderes übrig, als mit aller verbleibenden Kraft gegen die Täter zu kämpfen?

Deine Mira


Mein Name ist Anna

Ich werde dir, hoffe ich, alles anvertrauen können, so wie ich es noch bei niemandem gekonnt habe, und ich hoffe, dass du mir eine große Stütze sein wirst.

Als erstes möchte ich mich bei meinem rosa Kaninchen entschuldigen. Ich hätte nicht diesen blöden Hund, sondern mein Kaninchen mitnehmen sollen. Jetzt kann ich mein Kaninchen nämlich nicht mehr sehen, weil Hitler uns all unsere Sachen genommen hat und mein rosa Kaninchen jetzt gezwungen ist, bei Hitler zu wohnen. Ich vermisse es so sehr, aber wir müssen in die Schweiz, da Hitler uns nicht mehr in Deutschland haben will, weil wir Juden sind.

Die Zugfahrt in die Schweiz war zwar klasse, aber am Ende hat meine Mutter fast das Kamel an meinem Rucksack zerdrückt. Ich wusste anfangs nicht, warum sie so nervös war. Aber nach einiger Zeit kamen wir an der Grenze an und dort waren Hitlers Männer. Die durften uns nicht finden und obwohl ich uns fast verraten hätte, haben wir es geschafft. Dann sind wir in eines der besten Hotels in Zürich gegangen! Aber am Abend wurde ich sehr krank. Deswegen musste Papa einen Arzt holen, aber ich hab nicht mitbekommen, was geschehen ist oder was der Arzt gesagt hat. Nach einigen Tagen ging es mir besser. Nach einiger Zeit konnten wir uns das Hotel leider nicht mehr leisten und sind in ein günstigeres Gasthaus gezogen. Dort habe ich Vreneli kennengelernt und wir wurden Freundinnen. Mein Bruder Max hat auch Freunde gefunden. Er ist sogar mit ihnen zum Angeln gegangen.

Wir sind auch in dieselbe Schule gegangen, aber ich habe am Anfang vieles falsch gemacht. Ich bin zum Beispiel im Mittelgang gelaufen, obwohl das nur die Jungs machen dürfen. Auf dem Heimweg bewarfen mich die Jungen mit ihren Schuhen. Ich wusste nicht, was passiert. Ich hatte Angst, dass sie mich zu Tode bewerfen wollen, aber dann kam Mama und hat sie gefragt, warum sie dies machen und ich konnte nicht glauben, warum: So drücken sie angeblich aus, dass sie einen gern haben! Eine komische Weise seine Liebe gegenüber einem Mädchen auszudrücken, nicht wahr? Naja, aber wenn man halt in ein anderes Land zieht, ist es spannend zu lernen, dass sie eine andere Kultur und Lebensweise haben, obwohl ich aus dem Schuhe-Werfen nicht schlau werde.

Nach einigen Monaten kam eine Familie aus Deutschland, welche auch zwei Kinder hatte. Mit denen wollten wir auch spielten, aber nach einiger Zeit wollten diese nicht mehr mit Max und mir spielen und haben zu unseren Freunden gesagt, dass sie zwischen uns und denen entscheiden sollen, was mich sehr verletzt hat, da unsere Freunde nicht uns, sondern diese Kinder gewählt haben. Als wir dann zu Abend gegessen haben, hat die Mutter von diesen Kindern uns beleidigt, nur weil wir Juden sind, aber als Papa sie und die anderen geschimpft hat, haben wir diese Familie nicht mehr getroffen.

Ich verstehe nicht, warum uns die anderen Deutschen nicht mögen, ich bin nichtmal eine richtige Jüdin, ich weiß überhaupt nichts über die jüdische Kultur, nur das, was mein Vater und Max, erzählt haben, was auch nicht viel ist. Ich will einfach nur zurück nach Hause und mein Leben so führen wie es früher war. Manchmal fühle ich mich fehl am Platz, wenn ich mir die Menschen in der Schweiz anschaue. Die haben zwar keine völlig fremde, aber dennoch eine andere Lebensweise als wir und manchmal fühle ich mich hier schrecklich allein. Ich versuche mich zwar anzupassen, aber das fällt mir nicht leicht, weil ich meine Heimat ja nicht aus Spaß verlassen habe.

Was ich dir eigentlich erzählen wollte ist, dass Mama immer noch versucht, kochen zu lernen und Papa hier keinen Job findet, der so gut bezahlt ist wie in Deutschland. Aus diesem Grund haben wir nicht so viel Geld und Mama und Papa haben diskutiert, ob wir nach Frankreich oder nach England gehen sollen. Am Ende hat Frankreich gewonnen und Mama war nicht froh darüber, da sie lieber nach England möchte. Sie kann nämlich kein Französisch.

Um abzuklären, ob wir dort wohnen können, sind Mama und Papa schonmal nach Frankreich gegangen. Ich hatte sehr große Angst, alleine mit Max hier in der Schweiz zu bleiben, aber Mama hat gesagt, dass sie uns Briefe schreiben werden und uns über den Stand in Frankreich auf dem Laufenden halten. Ich konnte nicht richtig schlafen, bis wir einen Brief von Mama und Papa bekommen haben. Zum Glück stand in dem Brief, dass es Papa gut geht und er uns abholen kommt. Leider müssen wir damit schon wieder in ein anderes Land ziehen.

Ein paar Tage, bevor wir mit ihnen nach Frankreich gegangen sind, habe ich erfahren das jemand Papa umbringen will. Derjenige, der Papa umbringt, bekommt sogar Geld dafür! Das Geld bezahlt dann bestimmt dieser Hitler und seine Männer. Ich verstehe einfach nicht, warum jemand eine Person nur umbringen will, weil diese die Wahrheit schreibt.

Ich hoffe ich kann dir meine Erlebnisse in Frankreich auch erzählen. Ich wünsche mir sehr, dass ich und eigentlich jeder Mensch ein sicheres Zuhause finden kann…

Deine Anna


Mein Name ist Anne

Ich werde dir, hoffe ich, alles anvertrauen können, so wie ich es noch bei niemanden gekonnt habe und ich hoffe, dass du mir eine große Stütze sein wirst.

Ich schätze von mir behaupten zu können, dass ich und meine Familie lange Zeit ein gutes Leben gehabt haben. Mein Vater, meine Mutter, meine Schwester und ich lebten in einem normalen Haus. Ich war froh, als ich mein Tagebuch auf meinem Tisch für Geschenke zu meinem zwölften Geburtstag liegen sah. Klar, ich hatte es mitgekauft und mir vorgestellt, alle tollen Erlebnisse darin hinein schreiben zu können. Nun ist es aber anders gekommen. Ein Mann namens Hitler ist an die Macht gekommen und mit ihm die Partei der Nationalsozialisten. Viele Menschen meinten zu Beginn, dass sie nicht lange an der Macht bleiben werden, dass alles wieder gut wird, dass wir um nichts bangen müssen, und nun schreibe ich in dir, während ich in einem Hinterhaus sitze.

Ich muss gestehen, so ein Hinterhaus ist eine ganz feine Sache. Ein Haus in einem Haus versteckt ist dann doch eine ziemlich schlaue Idee, nur schade, dass ich während eines Krieges davon erfahren musste. Wir müssen mit anderen Familien zusammenleben. Am Anfang war es doch ziemlich interessant sie kennenzulernen, besonders die Berichte eines Mannes fand ich ganz interessant. Er erzählte mir, dass er viel gereist ist, erzählte mir von all den verschiedenen Orten, ich malte mir aus, wie es wäre, dort zu sein. Die Gerüche, Farben und Menschen, doch leider sitze ich hier in diesem Hinterhaus und hoffe das dieser Krieg bald vorbei ist.

Wieso diese Menschen Krieg führen, kann ich nicht verstehen. Alles was ich von dem Krieg mitbekommen habe war schlecht: Die verletzten, die verwaisten Menschen und nicht zu vergessen dieser Zug. Ich habe bemerkt, dass dieser Zug nur Menschen wie mich fortbringt, die „Nazis“ steigen dort anscheinend nicht ein.

Nur die Soldaten scheinen sich auf den Krieg zu freuen. Wir hören ab und zu Radio, natürlich auch die verbotenen Sender. Eines Tages haben sie mit einem Soldaten geredet. Er soll zwar ein paar Gliedmaßen verloren haben, aber unglaublich stolz darauf sein. Vielleicht verstehe ich es nicht, weil ich ein Kind bin, wenn ich mir aber die Gesichter der Erwachsenen anschaue, verstehen sie es wohl auch nicht.

Von dem wenigen und eintönigen Essen will ich dir gar nicht erzählen. Du kannst dir aber sicher vorstellen, dass die Situation nicht besonders toll ist. Auch wenn die anderen Familien am Anfang noch interessant waren, so sind sie absolut nervig geworden. Kannst du dir vorstellen, dass Erwachsene sich mehr beschweren als Kinder.

Ich weiß, dass diese Situation schwer für meine Eltern ist, also versuche ich sie überall zu unterstützen und mich nicht zu beschweren, was auf so engen Raum schon schwer sein kann. Ich habe aber gemerkt, dass wenn ich nur negative Gedanken habe, die Situation auch nicht besser wird, also dachte ich mir ich schreibe dir auch mal gute Sachen auf. Also wie ich dir bereits sagte, so erzählte mir dieser Mann von all diesen besonderen Orten und auch wenn wir nicht raus gehen durften, so spielten wir drinnen, aber eben möglichst mucksmäuschenstill. Stell dir vor, wir konnten sogar Geburtstage feiern. Das Hinterhaus gehörte einem Arbeitskollegen meines Vaters, er brachte uns Geschenke und Essen.

Die Tage waren gar nicht so schlimm. Wir verbrachten sie mit viel Lesen, Lernen und anderen Beschäftigungen. Das Schlimmste waren aber die Nächte. Wir konnten sie draußen schießen hören, später fielen dann immer mehr Bomben. Ich gewöhnte mich an diese lauten Geräusche überhaupt nicht und auch nicht an die Dunkelheit. Ich bitte meinen Vater immer das Licht anzumachen, aber das dürfen wir nicht, weil uns sonst jemand entdecken könnte.

Ich bemerkte aber schnell, dass es uns hier besser geht als vielen Menschen da draußen. Schließlich haben wir Essen und, wenn auch nicht bequeme, Betten. Wir waren nicht dort draußen und mussten frieren, obwohl die Vorräte und Klamotten, wohl auch nicht mehr lange halten würden. Aber uns geht es gut. Gar nicht auszumalen wie schnell sich das ändern könnte, wenn uns die Nazis erwischen würden…

Leider geht es uns nicht allen gut. Uns wurde vor ein paar Tagen gesagt, das Vaters Arbeitskollegen ins Krankenhaus musste. Leider mussten wir dann herausfinden, dass er Krebs im Endstadium hat. Ich wünschte, ich könnte bei ihm sitzen und ihn davon ablenken. Ich stelle mir das ziemlich traurig und deprimierend vor, wenn man weiß, dass man selbst oder eine Person, die man ins Herz geschlossen hat, unausweichlich sterben wird.

Ab und zu erfahren wir auch etwas vom Krieg. Es läuft sehr gut. Italien hat gerade kapituliert und wir alle hoffen auf eine Invasion im Westen. Auch an der Ostfront läuft es nicht gut für die Deutschen. Bei diesem fürchterlichen Krieg ist wohl bald ein Ende in Sicht und wir sind wieder frei. Eines der Mitglieder in diesem Haus, kennt sich wohl gut in Politik aus und erklärte uns, dass wir mindestens bis Ende 1943 hier leben müssen. Das ist zwar noch ziemlich lange, wir haben schließlich noch Sommer, aber was bleibt uns anderes auch übrig.

Unsere Wände und Böden sind ziemlich dünn. Das ist einer der Gründe, wieso wir so leise sein müssen. Dadurch konnten wir auch immer die Gespräche belauschen, obwohl ich gestehen muss, dass die meisten Gespräche, die geführt wurden, ziemlich langweilig sind, ich bin dann immer ganz schnell eingeschlafen. Zum Glück passt meine Schwester besser auf.

Im Hinterhaus passiert auch nichts mehr. Ich muss gestehen, dass die Situation im Hinterhaus immer langweiliger und schlechter wird. Ich will gar nicht erst von der Waschsituation sprechen oder von den immer schlechter werdenden Kleidungen oder Mahlzeiten. Ich meine damit eher die Situation zwischen uns Menschen. Ich meine es muss doch klar sein, dass wir während so einer Zeit zusammenhalten müssen und uns nicht wirklich über alles beschweren sollten. Wieso in diesem Hinterhaus, das meistens nur die Kinder schaffen, ist mir dann doch tatsächlich schleierhaft.

Aber wir müssen in diesen Zeiten ja auch positiv denken. Also hoffe und bete ich, obwohl ich das nicht immer mache, wie ich jetzt gestehen muss, dass bald eine bessere Zeit kommt und wir dann alle nach Hause können. Ich vermisse es nämlich mit meinen Freundinnen zu spielen oder in den Garten zu gehen und ganz viele andere Sachen. Wie lange wir aber noch alle zusammen in dem Hinterhaus verbringen, oder eher verstecken, müssen ist noch unklar. Ich hoffe aber inständig auf eine bessere Zeit.

Wer weiß, vielleicht, wenn ich irgendwann in dir schreibe, sitze ich in unserem Garten, während wir das Ende des Krieges feiern…

Deine Anne

(Eine wahre „Geschichte“)


Mein Name ist Felix

Ich werde dir, hoffe ich, alles anvertrauen können, so wie ich es noch bei niemandem gekonnt habe und ich hoffe, dass du mir eine große Stütze sein wirst.

Ich bin zwölf Jahre alt. Ich habe viele schlimme Dinge erlebt, von denen ich dir jetzt erzählen werde. Ich kam vor einiger Zeit in ein katholisches Waisenhaus. Meine Eltern hatten mich dort hingebracht und gesagt, sie kommen mich bald wieder holen. Doch das stimmte leider nicht. Ich wartete jeden Tag und am Ende waren dreieinhalb Jahre vergangen und sie hatten mich immer noch nicht geholt. In den letzten Monaten ist mir sehr viel klar geworden. Ich verstehe leider erst zum jetzigen Zeitpunkt meiner Geschichte, dass meine Eltern keine andere Wahl hatten und mich nur schützen wollten. Ich bin ein Jude, wie meine Eltern auch. Meine Eltern hatten einen Buchladen mit vielen tollen Büchern. Aber dann gab es bei uns in Polen plötzlich böse Menschen. Die „Nazis” verbrannten jüdische Bücher, weil diese ihnen nicht „deutsch” genug sind. Das verstehe ich nicht. Schlimmer ist aber, dass sie alle Juden umbringen wollen. Das verstehe ich umso weniger.

Aber weil ich früher naiv war, habe ich das nicht verstanden. Als die Nazis zum Waisenhaus kamen und die jüdischen Bücher verbrannten, war der einzige Gedanke, der mir durch den Kopf schoss, dass ich meine Eltern warnen musste, weil diese ja Buchhändler waren. Mir war sofort klar, dass ich hier ausbrechen und ihnen helfen musste. Es war keine große Sache aus dem Kinderheim auszubrechen, denn als die Nazis am Abend gingen, vergaßen die Nonnen aus Versehen, das Haupttor abzuschließen. So entkam ich problemlos. Da wir nicht in der Nähe wohnten, war es ein sehr langer und harter Weg bis zu meinem Haus. Ich war müde und meine Füße taten weh, weil meine Schuhe viel zu groß waren. Trotzdem schaffte ich es. Als ich ankam, stellte ich leider fest, dass meine Eltern dort nicht mehr wohnten, sondern die Familie Ratzen. Ich kannte diese Familie, weil ihr Sohn Wiktor mit mir in eine Klasse zur Schule gegangen war, als ich noch nicht im Waisenhaus lebte. Sie jagten mich fort.

Ein fremder Mann, der mir half, erklärte mir, dass alle Juden in die Großstadt weggebracht wurden. Er drückte mir Brot und eine Wasserflasche in die Hand und rannte weg. Ich beschloss also, mich auf den Weg in die Großstadt zu machen, um endlich meine Eltern wieder zu sehen.

Nach einiger Zeit führten mich einige Rauchschwaden zu einem ausgebrannten Haus. Direkt neben dem Haus lagen zwei tote Menschen. Eine Frau und ein Mann. Sie waren beide noch im Schlafanzug. Neben dem Paar lag noch ein kleines Mädchen. Da sie noch atmete, nahm ich sie auf meine Schultern und rannte schnell weg. Ich wollte sie in Sicherheit bringen. In der Ferne sah ich einen Bauernhof. Ich baute ihr dort einen Schlafplatz aus Heu und kümmerte mich um sie. Sie sagte mir ihren Namen, Zelda. Ich erklärte ihr, dass wir gemeinsam unsere Eltern suchen würden. Ich verriet ihr nicht, dass ihre Eltern längst tot waren. Ich konnte es einfach nicht. Stattdessen erfand ich eine Geschichte. Man muss dazu sagen, dass ich ziemlich gut darin bin, mir Geschichten auszudenken. Es ist sozusagen mein großes Talent, mit dem ich mich schon aus der ein oder anderen Schwierigkeit herausreden konnte.

Am Morgen fand uns ein Nazi. Er richtete sein Gewehr auf uns und schickte uns in eine Menschenmenge, die Richtung Großstadt lief. Ich fand das toll, weil wir ja da hin wollten. Aber als Kind findet man im ersten Moment viele Sachen toll, die im Endeffekt gar nicht toll sind. Um die Menschenmenge waren ganz viele Nazis postiert, die aufpassten, dass keiner entkommen konnte. Der Boden war schmutzig und matschig, meine Füße taten weh und mein Kopf schmerzte wie noch nie zuvor. Auf dem Weg zur Stadt kippten viele Menschen um und blieben einfach liegen. Es wurde uns verboten zu helfen und wir mussten einfach weiterlaufen. Diejenigen, die versuchten zu helfen, wurden geschlagen.

Später sah ich in der Ferne eine Stadt. Dort angekommen, trennten auf dem großen Platz einige Soldaten gewaltsam die Kinder von ihren Eltern. Es sah so aus, als dürften die Erwachsenen zu einem anderen Ort. Vor Erschöpfung brach ich zusammen. Ich lag vor Verzweiflung und voller Tränen im Gesicht auf dem Boden. Das letzte, was ich sah, war, wie ein Mann mit einem Nazi diskutierte und auf Zelda und mich zeigte. Schließlich verlor mein Bewusstsein.

Nach einiger Zeit kam ich wieder zu mir und befand mich in einer Art Keller. Mich blendete ein scheinbar grelles Licht, doch ich erkannte nach und nach, dass es eine Kerze war. Ich machte meine Augen wieder leicht auf. Um mich standen viele Leute. Nur einer davon war schon erwachsen. Ich erkannte, dass es der Mann war, der in der Menge mit dem Nazi diskutiert hatte. Es stellte sich heraus, dass sein Name Barnek war. Ich schätze, wenn er mich nicht gerettet hätte, könnte ich euch heute keine Geschichte erzählen. Im Keller waren viele andere Kinder. Barnek erklärte uns, dass auch die Kinder hier von ihren Eltern getrennt wurden. Ein Mädchen mit verbundenem Arm, ein kleiner Hosenscheißer, einer, der immerzu an einem Stück Holz nagte, ein immerzu zwinkernder und blinzelnder Junge und Zelda. Ich war sehr erleichtert und glücklich, die kleine Zelda wiederzusehen. Barnek gab uns etwas zu essen und ein Dach über dem Kopf. Er kümmerte sich um uns alle. Wir mussten immer leise sein und durften nicht aus dem Haus gehen, damit uns die Soldaten nicht finden konnten.

Die Kinder erzählten mir, dass wir uns vor Adolf Hitler verstecken mussten. Erst jetzt wurde mir klar, dass Adolf Hitler der Anführer der Nazis war. Als Zelda Barnek verraten hatte, dass ich gut Geschichten erzählen kann, wollte er, dass ich den Kindern etwas erzählte. Aber ich hatte, nach allem, was ich erlebt hatte, gar keine Lust mehr, Geschichten zu erzählen und so weigerte ich mich.

Einmal hatten wir keine Wasservorräte mehr. Also machten Barnek und ich uns nachts auf den Weg, um in leeren Wohnungen nach Wasser zu suchen. Wir wurden bald fündig. Barnek sammelte noch weitere Dinge. Spritzen, Päckchen mit Nadeln und kleine Fläschchen mit einer Flüssigkeit. Er erklärt mir, dass man vorsichtig sein muss. Wenn man sich diese Flüssigkeit spritzt, fällt man in einen tiefen Schlaf und wacht nie wieder auf. Ich ging weiter in die Küche und schaute mich dort um. Alles war verwüstet. In einem Hochstuhl sah ich ein totes Kind. Ich konnte nicht erkennen, ob es sich um ein Mädchen oder einen Jungen handelte, denn es war voller Blut. Barnek packte mich und schleifte mich in einen anderen Raum und hielt mich ganz fest im Arm. Was muss man für ein Mensch sein, um so etwas machen zu können? Während er mich ganz fest umklammerte, weinten wir beide. In diesem Moment wünschte ich mir, jemand würde mir so eine Spritze geben, sodass ich in einen tiefen Schlaf fallen und nie wieder aufwachen würde.

Aber ich hatte eine Aufgabe. Und so saß ich jeden Abend, bevor wir ins Bett sind, vor den Kindern und erzählte meine Geschichten. Manchmal war etwas Wahres daran, manchmal waren es nur ausgedachte Geschichten. Geschichten machen das Überleben erträglicher…

Dein Felix


Mein Name ist Bruno

Ich werde dir, hoffe ich, alles anvertrauen können, so wie ich es noch bei niemandem gekonnt habe, und ich hoffe, dass du mir eine große Stütze sein wirst.

Jeden Tag laufen irgendwelche Menschen durchs Haus und reden mit Vater, meine Schwester Gretel nervt mich oder ich habe einfach nichts zu tun, außer blöd aus dem Fenster zu schauen. Nichtmal meine Freunde sind hier. Seitdem wir umgezogen sind, bin ich auch nicht mehr rausgegangen. Wie denn auch? Ich habe hier nur meine nervige Schwester, mit der ich nun wirklich nicht spielen möchte. Außer ihren komischen Puppen interessiert sie wirklich auch nichts.

Hier in Auswisch oder wie das heißt gibt es wirklich gar nichts, außer diesen blöden Zaun direkt vor unserem Haus und niemand, wirklich niemand sagt mir, was es mit den ganzen Menschen im gestreiften Pyjama oder mit dem Zaun an sich auf sich hat. Jeden Tag beobachte ich das gleiche. Immer wieder werden die Menschen dort drüben in ihren blau-weiß gestreiften Pyjamas, von irgendwelchen Männern von Vater in die Mitte des Platzes gerufen und verschwinden dann wieder in einer Gruppe. Wohin sie gehen, weiß ich nicht, aber ich würde es gerne wissen. Ich würde auch gerne wissen, warum hier immer komische Männer in Uniformen durchs Haus laufen, da ich noch nie einen der Menschen mit dem Pyjama bei uns gesehen habe.

Vater bekomme ich nichtmehr zu sprechen, seitdem wir hier sind. Mutter meint, er sei sehr beschäftigt mit der neuen Arbeit und wir sollen ihn bloß nicht bei seinen wichtigen Angelegenheiten stören. Doch Mutter scheucht mich immer fort, wenn ich sie frage, ob sie mir meine Fragen beantworten kann. Gretel ist in dieser Hinsicht sowieso ein hoffnungsloser Fall. Aber auch Maria, unser Dienstmädchen, hilft mir nicht weiter. Sie darf scheinbar nichts sagen.

Ich vermisse die Zeit in Berlin, wo ich jeden Nachmittag mit meinen Freunden Karl, Daniel und Martin immer wieder neue Sachen erkunden konnte, aber das hat sich jetzt wohl erledigt. Dafür sind wir viel zu weit voneinander entfernt. Alles, was es hier gibt, ist unser blödes, langweiliges Haus und dieses merkwürdige Gelände, was rundherum umzäunt ist. Was soll ich schon den ganzen Tag machen? Hier habe ich auch keinen einzigen Freund. Nunja, zumindest hatte ich das nicht bis heute.

Heute habe ich nämlich etwas Aufregendes gemacht. Ob es wohl riskant war und ich am Ende sicher Ärger bekommen würde? Klar, aber alles war mir lieber als jeden weiteren Tag so vor Einsamkeit umzukommen. Ich wollte mehr sehen. Ich wollte mehr von unserem Wald sehen, in dem wir uns alle befanden.

Ich nahm meinen Rucksack, zog mir noch eine Jacke an und schlich mich dann unauffällig aus dem Haus. Als erstes wusste ich nicht recht, wo ich hingehen sollte, doch direkt neben unserem Haus befand sich dieser Zaun, also entschied ich mich, dem Zaun einfach zu folgen und abzuwarten, wohin mich dieses Abenteuer trug. Nach einer Weile kam ich an eine Stelle, wo sich immer weniger Bäume und Büsche befanden. Es sah sehr verlassen aus. Doch dann sah ich dort jemanden sitzen, einen Jungen in einem gestreiften Pyjama.

Ich wunderte mich. Ich habe mich gefragt, warum er denn so alleine hier im nirgendwo hinter dem Zaun im Schneidersitz auf dem Boden sitzt und in die Leere starrt. Ich näherte mich immer mehr und als er meine Schritte hörte, sah er mit einem sehr traurigen Blick zu mir hoch und begann zu strahlen. Er stellte sich vor. Schmuel nannte er sich. Er meinte er sei neun, genauso wie ich. Und wir haben sogar am selben Tag Geburtstag, am 15. April. Als ich ihn fragte, warum er denn so traurig aussieht, meinte er, dass er seinen Vater seit einigen Tagen nichtmehr gesehen hatte. Ich setzte mich schließlich zu ihm an den Zaun und versuchte ihn aufzumuntern. Doch nichts half. Klar, ich wäre auch sehr traurig, wenn ich meinen Vater seit einigen Tagen nicht gesehen hätte und zudem auch nicht wüsste, wo er sich vielleicht befindet. Wir unterhielten uns über unsere Familien. Uns fiel auf, dass wir aus zwei ganz verschiedenen Familien stammen, aber dennoch so viel gemeinsam haben. Er lächelte immer wieder, weil er sich freute, endlich einen Freund zu haben, genau wie ich, doch sein Lächeln verschwand ganz schnell und schon schaute er stets wieder traurig zu mir rüber.

Anders als ich sah er sehr dünn aus, so als ob sie dort drüben nicht viel zu essen bekommen würden, also gab ich ihm etwas von meinem „Abenteuerproviant“. Ich kam auf eine Idee. Ich wollte mir genauso einen gestreiften Pyjama anziehen wie er. Dann könnte ich mich durch ein kleines Loch unter dem Zaun, was wir selbst buddeln würden, zu ihm rüber zwängen, um ihm dort unauffällig dabei zu helfen, seinen Vater zu suchen.

Als ich ihm sagte, was ich vorhabe, strahlte er vor Freude über die Unterstützung. Er meinte, dass es durch diese passenden Mützen gar nicht auffallen würde, dass ich hier eigentlich nicht hingehöre. Wir planten also nicht nur ein aufregendes Abenteuer, sondern würden hoffentlich auch seinen Vater finden. Und wenn nicht, komme ich so oft rüber, bis wir ihn gefunden haben. Wir verabschiedeten uns beide und freuen uns sehr auf die kommenden Tage …

Dein Bruno



Besuchen Sie unsere Ausstellung im Herbst in der Stadtbibliothek Schwabach, nehmen Sie gemeinsam mit uns an der Gedenkfeier für die Opfer der Reichspogromnacht am 09. November teil und werfen Sie einen Blick auf unsere Textvorlagen:

David Safier: „28 Tage lang”, Judith Kerr: „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl”, John Boyne: „Der Junge im gestreiften Pyjama”, Morris Gleitzman: „Einmal” und natürlich „Das Tagebuch der Anne Frank”

Eure Vorklasse (Sozialzweig) der Staatlichen Fachoberschule Schwabach (Text: S. Sambale)

Unser herzlicher Dank geht auch an Gaby von „Herzschlagmomente”, die für uns die szenischen Lebensumstände als Fotographien festgehalten hat. Ihr findet sie auf Instagram –  siehe QR-Code: